Donnerstag, 12. Juli 2012

Genitaltechniker vs. Romantiker

Im Netz und in Magazinen begegnet mir aktuell das Thema Liebe. Sie wird analysiert, zerpflückt, neu definiert. Die Beiträge haben alle etwas gemeinsam, einen Hauch Verzweiflung. Haben Feministinnen auch eine Chance auf eine glückliche Beziehung (mit einem Mann)?, fragt zum Beispiel die EMMA. Die Ausgabe ist fast komplett dem Thema Liebe gewidmet. Dabei kommen Gegnerinnen und Befürworterinnen der Liebe und der Zweierbeziehung zu Wort. Autorin Eva Illouz sagt im Interview:
"Die Familie ist für Männer optional, sie brauchen sie in unserer Gesellschaft nicht so sehr wie Frauen um als erfolgreich zu gelten."
Stimmt, wer fragt bei einem Top-Manager danach ob er verheiratet ist? Während man bei einer Frau die Karriere macht und Single ist,  oft mitleidig mit dem Kopf nickt, und denkt für die Karriere muss frau privat Abstriche machen.  Sybille Berg behauptet auf spon "Liebe ist alles, sonst ist alles nichts"  Anlass für die Aufregung ist das Buch von Christiane Rösinger, gerade erschienen,  aber nicht von Frau Berg gelesen. Der Buchtitel deklassiert die Liebe als "überbewertet". Rösinger vertritt die Auffassung von der Paardiktatur.
"Nur drei Prozent aller Säugetiere leben monogam in einer festen Beziehung – warum muss dann ausgerechnet der Mensch dazugehören?"
 Ein interessanter Kommentar zu Frau Bergs Artikel Für die Liebe:
"Alles Romantische und Sentimentale muss ein Affront sein für die Genitaltechniker und Sexutilitaristen. Liebe lässt sich nicht optimieren - deswegen kann sie nicht ökonomisiert werden: Deus caritas est."
Sind wir alle Genitaltechniker mit dem Hang zur Polyamorie? Im hedonistischen Partyumfeld besteht nach meiner Einschätzung gerade zu ein Zwang 'sich auszuleben' und der flotte Beischlaf- Partnerwechsel wird vorausgesetzt. Die Abweichung von der Norm ist in den Kreisen die Norm geworden. Klassische RZB's (ich verbinde mit dem Wort eine Art Hassliebe) sind längst zur Spießigkeit verkommen, die 70er lassen grüßen. Wenn schon eine Zweierbeziehung, dann sollte man wenigstens  gemeinsam Sex mit anderen Pärchen haben oder eine offene Beziehung pflegen. Aber warum dann überhaupt eine Beziehung führen? Hat man/frau nicht den Mut allein im Bett einzuschlafen?


Daneben existieren noch einige Parallelwelten. Die plüschige, traditionelle Zweierbeziehung auf die Vati und Mutti stolz blicken. Man bringt den Freund/Ehemann gern mit zu den Eltern, Nachwuchs ist geplant und ab dreißig schielt mindestens einer von Beiden Richtung Bausparvertrag. Mich beschleicht das Gefühl das Beides nicht funktioniert. Sowohl die lockeren Hedonisten-Pärchen trennen sich, als auch die Bausparer gehen wieder eigene Wege. Das muss nichts mit dem jeweiligen Modell zu tun haben, aber was wenn doch? Interessant wird es, wenn eingefleischte Hedonisten, die Erfahrung mit offenen Beziehungen haben, plötzlich zugeben "Ich mach das nicht mehr, das tut meiner Seele nicht gut". Sehnsucht nach Nähe UND Verbindlichkeit ist anscheinend stark in uns verankert. Jetzt könnte man denken, klar, wozu hat man Freunde, aber die Freundschaftsverhältnisse sollte man mit dieser Sehnsucht nicht überstrapazieren. Sich nach einem anstrengendem Tag über die Arbeit, die Famile etc. auszukotzen, warme Suppe erwarten wenn man krank ist,  Ikea-Möbel-Spontankäufe in den 4. Stock schleppen, das machen doch nur die Visa-Card- Tiefkühlkuchen-Freunde aus der Werbung bereitwillig. Sobald man erwachsen ist, nehmen die Pflichten zu und die Zeit ab. Nach einer 6-Tage-Woche und mit Rückenschmerzen, überlege ich es mir auch zwei mal ob ich bei einem Umzug helfen möchte. Nun führe ich nicht DESWEGEN eine Beziehung, einen Schrank aufbauen bekomme ich auch prima alleine hin. Aber den Alltag zusammen zu meistern, gibt Kraft. Sich gegenseitig zu unterstützen, das ist für mich Familie, auch zu Zweit.
Am erstaunlichsten fand ich einen Kommentar von der erst kürzlich verstorbenen Analytikerin Margarethe Mitscherlich.
"Homosexuelle ( Pärchen ) lösen bereits heute die Fragen die Heterosexuelle noch in 10, 20 Jahren beschäftigen werden."

Rollenbilder zu hinterfragen ist unbedingt notwendig, nur muss es gleich so krass wie bei Firestone die Abkehr von der Zweierbeziehung bedeuten? Pauschlisierung ist doof. Es gibt leider nicht die eine Lösung. Was natürlich auch wieder ein bisschen verzweifelt klingt, aber ich bleibe dran!

Zum Thema "Warum laufen die Männer weg?"  beklagt ein männlicher User im Emma-Forum, dass Karrierefrauen nicht attraktiv für ihn sind, von den Männern zu viel erwartet wird und sowieso ist ja an allem der Feminismus schuld! Dazu hat  die Userin lecker Käsebrot und Gurke einen spitzenmäßigen-super-duper-klasse Kommentar geliefert, den ich mir am liebsten rahmen und übers Bett hängen möchte.

Du schreibst, dass "die Evolution" den Mann als Beschützer der Frau "gedacht" habe, dass es das Beste sei, wenn sich die Mutter um das Kind kümmere und die antifeministische Rollenverteilung die "lebensfähigste" sei ... andererseits beklagst du, dass Frauen weniger verdienen müssten, um sozial akzeptiert zu werden und ein Mann der nichts verdient kein Mann sei. Dabei ist diese Form des Drucks auf Männer doch nur die logische Konsequenz eines patriarchalen Rollenverständnis. Du kannst doch nicht erwarten, dass man (und vorallem frau!) die Gleichung "Mann = überlegener Versorger und Beschützer der Frau, die sich daheim um die Kinder kümmert" akzeptiert und gleichzeitig erwarten, dass es keinen Druck auf Männer gibt, dann tatsächlich ordentlich zu verdienen. Und was "die Evolution" anbelangt ... ich glaube, euer (euer = traurige Antifeministen) Problem ist doch gerade, dass ihr eigentlich, unbewußt merkt, dass es eben gerade nicht "die Evolution" ist, die sich da irgendwas "gedacht" habe. Es ist doch so: wenn Frauen aus dem Bildungs- und Wirtschaftsleben mehr oder weniger ausgeschlossen werden, dann ist es für einen Mann nicht schwer, in die Position des ökonomisch, intellektuell und rechtlich überlegenen Oberhaupts und Versorgers zu gelangen. Diese Überlegenheit hat aber soziale Wurzeln, keine biologischen. Und wie verletzlich diese Wurzeln sind sieht man schon daran, dass viele Männer gleich völlig kapitulieren und sich in virtuelle Welten aus Machofilmen, Computerspielen und "guten alten Zeiten" flüchten, wenn sie sich nur ein wenig anstrengen müssen, um diese Überlegenheit auch gegenüber Frauen aufrechtzuerhalten, die studieren und arbeiten dürfen. (Und dann Angst und Panik, Ekel vor den bösen "Karrierefrauen" empfinden.)

Übrigens sieht man an deinen zwei Beiträgen sehr schön, warum das Patriarchat Frauen immer in eine Lose-Lose-Situation bringt. Akzeptieren sie die Rolle nicht, die "die Evolution" für sie angedacht habe, dann sind sie keine guten, echten Frauen mehr. Akzeptieren sie diese Rolle aber und suchen nach dem bestmöglichen Versorger, dann sind sie nur geldgeile Prinzessinnen mit viel zu hohen Ansprüchen. Und das gilt auch in anderen Bereichen: im Patriarchat ist eine Frau entweder ein hochemotionales, übersensibles und verletzliches Wesen (dass sich ihrer Emotionalität wegen aus ernsten Angelegenheiten heraushalten sollte) - oder sie ist ein unweibliches Mannsweib und gar keine "richtige" Frau mehr. Sie wird entweder abgewertet als hässlich, ungepflegt, nicht weiblich - oder abgewertet als Modepüppchen, das sich zu sehr um ihrer Haare und zu wenig um internationale Diplomatie sorgt. (Kann man auch sehen an der Kombination aus Blondinenwitzen und dem sozialen Pinke-Blonde-Barbie-Druck.) Eine Frau kann sich nur aussuchen, ob sie abgewertet werden will, weil sie eine "echte" Frau ist oder ob sie abgewertet werden will, weil sie keine "echte" Frau ist. 

Was Männer und Schuld anbelangt: Es ist nunmal ein harter historischer Fakt, dass Frauen von Männern unterdrückt wurden und werden. (Dieses Pochen auf "harte Fakten" auch dann, wenn sie weh tun und unbequem sind, galt übrigens auch mal als männlich...) Ich glaube aber gar nicht, dass das dein eigentliches Problem ist, weil so ziemlich alle Feministinnen betonen, dass auch Männer Opfer patriarchaler Geschlechterrollen sind: einerseits sind sie keine "echten" Männer, wenn sie nicht genug verdienen und ihr Beruf nicht mit einem möglichst hohen sozialen Prestige behaftet ist - andererseits gelten als echt männlich gerade Beschäftigungen, die der Erreichung dieses Ziels nicht zuträglich sind: Ein Streber zu sein, der in die Oper geht ist voll schwul, ey - Biersaufen, Fußball gucken und Computerspiele spielen ist toll. Man darf bei allem Mitleid aber nicht vergessen, dass Frauen Opfer der Opfer sind und sich viele Männer an das Patriarchat klammern, anstatt als Verbündete an deren Abschaffung zu arbeiten. Die Frauen, mit denen du geredet hast, hätten sicher ganz anders auf dich reagiert, hätten sie nicht gewusst (oder geahnt), dass du ein etwas wehleidig klingender ('tschuldigung, ist nicht beleidigend gemeint) Antifeminist bist, der "Karrierefrauen" abstoßend findet, der der Ansicht ist, dass sich Frauen um Kinder kümmern und den Mann als Beschützer und Oberhaupt akzeptieren sollten und sich dabei überdies hinter dem Hinweis auf "die Evolution" versteckt. (Womit alle anderen quasi zu biologischen Betriebsunfällen degradiert werden.)

Grundsätzlich wäre schon viel erreicht wenn Antifeministen ehrlich zu sich selbst wären und sich fragen würden, warum sie diese patriarchalen Rollen
wirklich aufrechterhalten wollen anstatt sich immer hinter diesem sexistischen Ersatzgott namens "die Natur" zu verbergen und jedes einzelne Gegenargument nur als Versuch, die Meinungsfreiheit abzuschaffen darstellen. (Bis irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem frau grundsätzlich nicht mehr gegen Sexismus argumentieren darf, weil jedes Argument ja ein Beweis dafür ist, dass sie ein "Gutmensch" sei und die Meinungsfreiheit abschaffen wolle....)


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